Unterstützung für Entwurzelte.

Entwurzelt...ein entwurzelter Baum als Skulptur in Traunstein.

Im Mai habe ich in Traunstein diese Skulptur entdeckt.
Zuerst dachte ich, wie hässlich ist das denn…
Dann kam ich ins Nachdenken.
Mensch- es ist doch Mai 2015.
Wir feiern 70 Jahre Kriegsende in Europa.
In Deutschland gab es damals viele Menschen, die entwurzelt wurden und aus den ehemaligen deutschen Gebieten neue Heimat in dem neuen Deutschland suchten.
Sie kamen aus Ost- und Westpreußen, Pommern, Schlesien, Böhmen und Mähren und wer weiß woher sonst noch.
Sie waren damals Flüchtlinge.
Heute feiern wir den Gedenktag für Vertriebene.
Ich las die Rede von unserem Präsidenten und ich fand es gut, was er sagte:
„Vor 70 Jahren hat ein armes und zerstörtes Deutschland Millionen Flüchtlinge zu integrieren vermocht. Warum sollte ein wirtschaftlich erfolgreiches und politisch stabiles Deutschland nicht fähig sein, in gegenwärtigen Herausforderungen die Chancen von morgen zu erkennen?“
Ich kam in 1983 als Vertriebene nach Deutschland- aus Schlesien. Mein Opa hat nach dem Krieg seine Heimat nicht verlassen wollen, aber mein Vater entschied es für uns.
Er kam zuerst ohne uns, weil es anders gar nicht gegangen wäre. Wie oft regen sich in Deutschland Leute auf, dass die Männer ohne Familien hierher kommen…. Aber ich sehe es aus der Sicht meines eigenen Vaters. Er wollte uns eine bessere Zukunft schenken, wusste es aber nicht einzuschätzen, was für Herausforderungen auf uns als Familie zukämen.
Deswegen reiste er alleine und außerdem wäre es gar nicht möglich gewesen mit uns auszureisen.
Wir waren 1 Jahr und 9 Monate getrennt.
Für uns Kinder war die Ungewissheit, ob wir den Vater je wiedersehen würden nicht einfach zu ertragen- und das war innerhalb von Europa!
Und für ihn in den Sammelunterkünften war es oft ein Horror! Messerstechereien unter den Männern waren sehr real!
Ich durfte nach der Entwurzelung aus Schlesien, Polen so wie dieser Skulpturbaum Gott sei Dank einige Unterstützung erfahren in Deutschland.
Das allerwichtigste war ein einjähriges, vollzeitiges Integrationssprachkurs und danach die Integration in einem Internatsgymnasium der CJD ( Christlichen Jugenddorf Deutschlands ), das einen Slogan lebte: Keiner darf verloren gehen!
Sie schafften es, dass wir in Deutsch als Fremdsprache benotet wurden, dass wir in Polnisch als Fremdsprache getestet wurden und Russisch als Fremdspache dazu als Fach haben durften!
Das Internat zwang uns auch eine AG zu besuchen, in der es keine Deutschkenntnisse gebraucht wurden- Tanzgruppe, Basketball und andere Sportaren. Das war eine Rettung für unsere verletzte Seelen- denn wir wurden reduziert zu dem was wir sagen konnten, und das war recht wenig!
Der entwurzelte Baum zeigt einige Risse in seiner Rinde.
Ja, entwurzelte Menschen haben Wunden…
Entwurzelte Menschen brauchen Dich um zu überleben!
Ich habe es mit Hilfe vieler Unterstützerin Deutschland geschafft – durfte ein gutes Abi schaffen, ein Studium abschließen.
Aber wer waren diese Menschen, diese Unterstützer???
In erster Linie war es eine Systemunterstützung.
Der damaliger Kanzler Kohl gab Gelder frei für die Spätaussiedler und Flüchtlinge in den 80-gern- so lernten in meiner Schule Spätaussiedler aus Schlesien, damaligen UdSSR, Rumänien neben den Eretrerien, Boats People aus Vietnam, politisch verfolgten Iranern und vielen anderen.
Die nächste Unterstützung stammte von den einst Betroffenen. Es waren Vertriebene Erzieher und Lehrer aus Pommern und Schlesien, Ostpreußen etc.. Sie konnten unsere Verluste mitfühlen!
Und die allerletze Gruppe, das waren die Normalos. Menschen Vorort, die einfach mit uns ihr Leben teilten! Die keine Angst vor uns hatten, weil wir zuerst nur auf Englisch mit ihnen kommunizierten.
Sie öffneten ihre Häuser für uns, aßen mit uns, spielten mit uns. Sie erklärten uns ihre Welt, in der wir uns neu zuerst finden mussten, denn unsere Welt stand Kopf…. So wie bei dem entwurzelten Skulpturbaum, hingen unsere Wurzel in der Luft. Sie vertrockneten in der Fremde…Die Sprache, die engste Familie und Freunde, das Essen, die Gemeinschaft, alles Vertraute war weg.
Heute ist mein Lebensbaum wieder richtig rum, eingepflanzt und lebendig.
Unter meinen Ästen können nun andere Entwurzelte Menschen eine Unterstützung finden, sich an meinen Baumstamm anlehnen, weil ich selbst betroffen war.
Ich bitte an heutigem Gedenktag unser System, die Entscheidungsträger: Seid nicht zu sparsam mit Eurem Budget. Es lohnt sich die Neuen zu unterstützen- denn die meisten wollen einen Neuanfang wagen.
Vor allem aber bitte ich Euch die Kinder zu unterstützen- sie haben ihren Schicksal nicht entschieden -ihre Eltern haben sie einfach mitgenommen- sie brauchen Ihre Unterstützung, weil ihr Lebensbaum mit Gewalt ausgerissen wurde, ohne, dass sie auf irgendeine Weise es verhindern hätten können!
Und ich bitte Euch Betroffene von damals- seid Multiplikatoren. Euch wurde geholfen – gibt nun Eure Hilfe weiter.
Und nun zu Euch, die nie wegziehen musstet. Habt bitte Erbarmen mit denen, die nicht so glücklich aufwachsen durften wie Ihr. Wir leben in einem friedlichen Land, in dem es genug zu essen gibt. Alles andere ist Luxus. So viele Menschen leben unter Angst und Hunger in ihren Ländern und wir sitzen vor unseren Handys und lachen über witzige auf fb geteilte Youtube Videos mit springen Katzen, weil wir sonst nichts zu tun haben…
Lasst uns darüber nachdenken, wie konkret wir werden können an diesem Gedenktag für Vertriebene…

Support.

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Alexandra Rempel

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